Val McDermid wuchs in einem schottischen Bergbaugebiet auf und lebt heute als freie Autorin in Manchester. Nach Jahren als Literaturdozentin in Oxford und als Journalistin bei namhaften englischen Zeitungen widmet sie sich heute ganz der Schriftstellerei. Ihr Roman Das Lied der Sirenen gewann den Gold Dagger Award für den beste Kriminalroman des Jahres 1995. Seither gilt sie als eine der interessantesten neuen Autorinnen aus dem Spannungsgenre.
Erster Teil
,,Nur weil du Stimmen hörst, heißt das doch nicht, dass du verrückt bist. Man braucht nicht besonders schlau zu sein, um das zu wissen. Und obwohl du all die Dinge getan hast, bei denen es den Geschworenen den Magen umdrehte, bist du doch wenigstens schlau genug zu wissen, dass du kein Irrer bist. Es gibt jede Menge Leute, die Stimmen hören, das weiß man ja. Wie beim Fernsehen. Wenn man fernsieht, könnte man zwar meinen, dass das alles wirklich passiert, aber trotzdem weiß man doch, dass es nicht so ist. Und irgendjemand muss sich das alles auch ausgedacht haben, ohne hier zu landen, wo du bist. Da besteht ja kein Zweifel daran.
Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen. Oder jedenfalls keine großen Sorgen. Na gut, sie haben behauptet, dass du verrückt bist. Der Richter hat deinen Namen genannt, Derek Tyler, und hat dir das Etikett >>geistesgestört<< umgehängt. Aber was für ein cleverer Typ der Richter angeblich auch sein mag, ihm war doch nicht klar, dass er sich genau nach dem Plan verhielt. Es ist der Dreh, auf den sie immer kommen, um >>lebenslänglich<< zu vermeiden, wenn einer das getan hat, was du verbrochen hast.
Wenn du ihnen einreden kannst, dass du durchgeknallt warst, als du es getan hast, dann hast nicht du die Tat begangen, sondern der Wahnsinn in dir. Und wenn du verrückt bist, aber nicht bösartig bist, dann ist ja klar, dass du geheilt werden kannst. Und deshalb sperren sie dich in die Klapsmühle statt in den Knast. Da können die Mediziner dann in deinem Kopf herumstochern und probieren, die kaputten Teile wieder in Ordnung zu bringen.
Wenn da natürlich von Anfang an nichts kaputt war, hältst du besser die Klappe. Lässt sie nicht merken, dass du genauso gesund im Kopf bist wie sie selbst. Dann, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, kannst du anfangen zu reden. Stell es so hin, als hätten sie mit ihrer Zauberkraft jemanden aus dir gemacht, den sie wieder auf die Straße hinauslassen können.
Es klang völlig plausibel, wenn die Stimme es erklärte. Du bist ja auch ganz sicher, dass du alles richtig verstanden hast, weil die Stimme es so oft wiederholt hat, dass du die ganzen SPrüche mit geschlossen Augen auswendig hersagen kannst.
>>Ich bin die Stimme. Ich bin deine Stimme. Was ich dir befehle, ist das Beste für dich. Ich bin deine Stimme. Das ist der Plan. Hör gut zu.<< Das ist der Auslöser. Es braucht nicht mehr als diese ersten paar Worte, um das ganze Band in deinem Kopf ablaufen zu lassen. Die Botschaft ist noch da, tief in dein Gehirn eingegraben. Und sie macht immer noch Sinn. Oder zumindest glaubst du das.
Nur ist es jetzt schon so lange her. Und das Schweigen durchzuhalten ist nicht leicht - jeden einzelnen Tag, Woche um Woche, Monat um Monat. Aber du bist ganz schön stolz darauf, dass du es geschafft hast, denn all die Dinge vermisch sich mit der Stimme. Therapiesitzungen, bei denen du alles ausblenden musst, was die wirklich Verrückten so labern. Gespräche mit den Ärzten, die dich mit List und Tücke zum Sprechen bringen wollen. gar nicht zu reden von Geschrei und Gebrüll, wenn jemand durchdreht. Und dann die Hintergrundgeräusche in Aufenthaltsraum, der Fernseher und die Musik, die wie Störsender in deinem Kopf rumoren.
Nur mit der Stimme kannst du dich wehren und mit dem Versprechen, dass das Wort fällt, wenn der rechte Zeitpunkt da ist. Und dann wirst du wieder draußen sein und das tun, was du, wie du entdeckt hast, am besten kannst.
Frauen töten.''
Quelle: Tödliche Worte - Val McDERMID
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